Mikri Doxipara

Der Grabhügel von Mikri Doxipara - Zoni

© Text Dr. Waltraud Sperlich, © Bilder Prof. Ulrich Schendzielorz

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Mikri Doxipara, Wagen A © Bildarchiv Steffens/Schendzielorz

Fundstelle des Wagens A. © Bildarchiv Steffens/U. Schendzielorz


Es lebe der Tod!

Die Schimmel sind auf Hochglanz gestriegelt, ihre Trensen aus poliertem Eisen gleißen, Glasperlen im Zaumzeug blitzen in der Sonne. Schnaubend ziehen die Tiere prunkvolle Wagen, deren bronzene Zierbeschläge thrakischen Schilden gleichen. Heute ist ein großer Feiertag, denn heute trägt man den Stammesfürsten zu Grabe. Lachend und tanzend begleitet ihn der Stamm auf einen Hügel. Dort oben, mit Blick auf endlos scheinende Weiden und Wälder, soll der Scheiterhaufen des Fürsten auflodern, wird er den Weg in eine bessere Welt antreten, samt den Gespannen, seinen Waffen, einem Schoßhund und – seiner Hauptfrau.

Fast zweitausend Jahre später, im Oktober 2002, steigt der griechische Archäologe Diamantis Triandaphyllos einen Hügel unweit von Orestiada hinauf, einer Stadt im ‚Dreiländereck‘, wo Griechenland an Bulgarien und die Türkei grenzt. Ein Bauer hatte ihm aufgeregt von antiken Marmorplatten am Rand eines Ackers berichtet. Triandaphyllos ist der Antikenverwalter dieser Region, solchen Hinweisen nachzugehen gehört zu seinem Geschäft. Und er hat gut zu tun, denn wo heute Europas toter Winkel liegt, war einstmals eine Ballungsraum der Kulturen. Zwischen dem Schwarzen Meer und der Ägäis traf der Osten auf den Westen, tauschten sich Orient und Abendland aus. Der Archäologe erwartet das Übliche: Reste einer Garnison der Perser, die um 512 v. Chr. einen Teil der Balkanhalbinsel eroberten; möglicherweise auch mal wieder ein Heldendenkmal der Makedonier, der Machthaber seint 342. v. Chr; Fundamente einer römischen Villa oder einer byzantinischen Basilika wären ebenfalls denkbar.

Als Triandaphyllos mit seinem Begleiter eintrifft, geht die Sonne gerade mit einem prächtigen Farbspektakel über den den Wäldern des nahe liegenden Gebirges, des Rhodopen, unter. Dahinter liegt bereits Bulgarien. Er blickt nach Osten, wo sich die Minarette von Edirne in den Abendhimmel recken – auch die Türkei ist nur wenige Kilometer entfernt. Ungeduldig deutet der Bauer auf den Boden, weist auf die Marmorplatten. Sie scheinen etwas abzudecken, doch was? Vorsichtig stochert der Antikenverwalter im Boden herum, bis er auf Widerstand stößt. Er wischt die Erde beiseite – zum Vorschein kommen Knochen. Nun wird es interessant. Das ist offenbar doch nicht das Übliche. Bald liegt ein Pferdeschädel frei. Ein Grab für ein Tier? Dies könnte auf das legendäre Volk hinweisen, das der Provinz den Thrakien im Nordosten Griechenlands den Namen gab. Jenes Volk, das hier mehr als dreitausend Jahre zu Hause war und doch kaum Spuren hinterließ.


Mikri Doxipara, Schädel eines Pferdes © Bildarchiv Steffens/Schendzielorz

Schädel eines Pferdes. © Bildarchiv Steffens/U. Schendzielorz

Mikri Doxipara, Wagen E © Bildarchiv Steffens/Schendzielorz

Wagen E. © Bildarchiv Steffens/U. Schendzielorz

Mikri Doxipara, Pferdegrab B © Bildarchiv Steffens/Schendzielorz

Pferdegrab B. © Bildarchiv Steffens/ U. Schendzielorz


Es liebte Pferde über alles. Sagten jedenfalls die alten Griechen. Sophokles (496-406. v. Chr.) nannte sie gar „Pferdemenschen“. Zumindest in diesem Punkt waren sich die antiken Geschichtsschreiber einig. Ansonsten wurden sie aus den Thrakern nicht recht klug. Homer erwähnte sie als Erster. In seiner Ilias berichtet er 750 v. Chr. von jenem großen Krieg, der wohl 450 Jahre vor seiner Zeit stattgefunden hatte und ihm durch mündliche Überlieferung bekannt war. In diesem mächtigen Ringen hätten sich die Thraker auf die Seite der Troianer geschlagen, ihrer Nachbarn jenseits des Marmarameers. Und wie führte Homer dieses Volk in die Geschichte ein? Indem er von ihren Rossen schwärmte: „die schönsten und größten, die ich je gesehen, weißer denn blendender Schnee und hurtigen Laufs wie die Winde“. Nicht minder prächtig beschrieb der Dichter den thrakischen Heerführer: „Auch sein Geschirr ist köstlich mit Gold und Silber geschmückt. Rüstungen, auch aus Golde, gewaltige Wunder dem Anblick, trägt er daher; kaum ziemt es sich den sterblichen Erdbewohner solches Gerät zu tragen, vielmehr unsterblichen Göttern“. Tätsächlich konnten sich thrakische Fürsten allerlei Luxus leisten, barg ihr Land doch Europas größte Erzvorkommen. Gold, Silber und Kupfer wurden am Berg Pangaion an der Ägäis, in den Rhodopen und im Hohen Balkan gefördert; die ersten Minen entstanden bereits um 5000 v. Chr..

Wohlstand brachte nicht nur der Handel mit Rohstoffen, sondern auch deren Verarbeitung. Kunstfertige Handwerker schmiedeten Waffen, trieben Gefäße und verzierten Geschmeide, die bis nach Kleinasien reißenden Absatz fanden. Schon das Volk, das vor den Thrakern in der Region lebte, trug seinen Reichtum am Leib zur Schau. Schweren Brustschmuck aus hochkarätigem Gold entdeckten Archäologen 1972 nahe dem bulgarischen Warna. Mindestens sieben Fürsten der Zeit zwischen 4600 und 4200 v. Chr. wurden in dem vorthrakischen Gräberfeld an der Westküste des Schwarzen Meers beigesetzt. Fast dreihundert weitere Bestattungen kamen schlichter daher. Diesen Toten hatten ihre Angehörigen lediglich Alltägliches wie einfaches Keramikgeschirr mit auf den Weg gegeben, ein offensichtliches Indiz für eine frühe Hierarchie.

Die Nacht bricht an, in Edirne leuchten die Straßenlaternen auf. Triandaphyllos blickt hinüber nach Bulgarien, das sich noch in Dunkel hüllt. Im einstigen Kernland der Thraker zwischen dem Unterlauf der Donau und den Rhodopen gehen erst in zwei Stunden die Lichter an. Zu den Zeiten, da Bulgarien zum Ostblock gehörte, sah es hinsichtlich der Forschung wahrlich finster aus. Das Wenige, das einheimische Archäologen zu den Thrakern in internationalen Medien publizieren durften, zielte meist darauf ab, dieses Volk als Urbulgaren darzustellen. Erst seit der Mitgliedschaft in der Europäischen Union entwickelte sich ein reger Austausch unter Wissenschaftlern. Leider aber auch das Raubgräbertum durch organisierte Banden.


Mikri Doxipara, Wagenschmuck © Bildarchiv Steffens/Schendzielorz

Wagenschmuck Wagen B. © Bildarchiv Steffens/U. Schendzielorz

Mikri Doxipara, Wagen B © Bildarchiv Steffens/Schendzielorz

Rückseite Wagen B. © Bildarchiv Steffens/U. Schendzielorz

Mikri Doxipara, Bronzeamphoren © Bildarchiv Steffens/Schendzielorz

Mikri Doxipara, Bronzeamphoren. © Bildarchiv Steffens/ U. Schendzielorz


Deshalb ist Triandaphyllos beunruhigt. Hat er mit seiner Vermutung Recht, drängt die Zeit, zumal der Winter vor der Tür steht. So rasch wie möglich informiert der Antikenverwalter seine Kollegin Domna Terzopoulou von der Universität Thessaloniki. Doch die zweifelt: „Thrakisch? Also ich weiß nicht“. Ihre Skepsis ist verständlich, denn schon in der Antike gab es über dieses Volk allerlei Gares und Halbgares zu hören. Herodot, Vorreiter aller Historiker, fabulierte Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr.: „Das Volk der Thraker ist nach den Indern das größte auf der ganzen Welt“. Eine Bedrohung für Griechenland also? Herodot beruhigte: „Wenn es auf einen Herrn hörte oder einträchtig zusammenhielte, wäre es unbesiegbar und das weitaus stärkste aller Völker nach meiner Ansicht. Aber das ist ihnen versperrt und demgemäß sind sie also schwach“. Auch da irrte Herodot.

Am nächsten Mittag trifft Domna Terzopoulou im Dreiländereck ein. Die Thraker haben ihr keine Ruhe gelassen und so ist sie frühmorgens losgefahren und hat die 500 Kilometer bis Orestiada in einem Rutsch hinter sich gebracht. Dort nimmt sie der Kollege in Empfang und nach weiteren zwanzig Kilometern durch verschlafene Dörfer kann die klassische Archäologin endlich den fragliche Pferdeschädel inspizieren. Sie befühlt den Knochen, klopft die Erde darum ab, und bald gibt ihr der Schimmer von Grünspan Recht. Eine Schale aus Kupfer oder Bronze? Nein, es ist ein thrakischer Schild! (...)


Sie finden diesen Artikel von Dr. Waltraud Sperlich und Ulrich Schendzielorz in voller Länge in der Zeitschrift ‚Abenteuer Archäologie‘.

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